Das Geheimrezept der Yogaphilosophie für innere Balance: Santosha. Die Entdeckung der Zufriedenheit.
Neulich hatte ich Geburtstag und bekam eine Nachricht von meiner Tante Carla: »Liebe Judith, ich hoffe, es geht dir gut und du bist zufrieden.« Zufrieden?? Das klang für einen Augenblick fast nach einer Beleidigung. Wo war der Glamour, die Emojis, die Poesie?
Kennst du das? Oft suchen wir im meinem Leben nach allem, aber sicher nicht nach Zufriedenheit. Für mich ging es meistens um große Gefühle, gigantische Höhen, Tiefen, Hauptsache: intensiv. Aber Zufriedenheit? Ist das nicht eher etwas für die, die ihr Leben absitzen, anstatt es zu leben?
Wenn man aber mal ehrlich hinschaut, dann sind die besten Tage die, in denen man von tiefster Zufriedenheit erfüllt ist. Dann, wenn man nämlich nichts anderes will, als genau da zu sein, wo man ist. Wie ein voll gefressener Bär, der - die Süsse des Honigs in sich - mal ein kleines Schläfchen macht, mal eine Runde dreht, wie es halt so kommt.
Wege aus dem Dauer-Optimieren: Butterbrot oder Bowl
Dieser zufriedene Zustand scheint in unserer Zeit immer schwerer zu werden: Da ist so vieles, was wir noch tun, optimieren, werden müssen. So viele Optionen, Ziele, Instagram Posts, Ratgeber, mögliche Identitäten. Manchmal scheint es fast, als wäre Zufriedenheit eine Erinnerung aus vergangenen Zeiten, fast wie ein Brot mit Butter statt Superfood-Bowl und Detox-Smoothie.
Doch was nutzen all die Ziele, wenn sie uns nicht ankommen lassen? Wenn wir so beschäftigt damit sind, etwas zu werden, dass wir kaum noch sind? Yoga ist der Weg aus dem vielen Wollen, Suchen, Denken heraus in die unmittelbare Erfahrung. In den Körper, das Sein, den Augenblick und seine Möglichkeiten. Und damit auch: In einen Zustand, in dem alles gut ist, so wie es ist. Zufrieden.
Santosha - Zufriedenheit im Yoga
Ein Schlüssel dazu ist: Santosha, Sanskrit für Zufriedenheit. Das Besondere ist, dass diese Zufriedenheit im Yoga nicht als Ergebnis, sondern als Praxis gesehen wird. Es ist also nicht etwas, das irgendwann, vielleicht, entsteht - sondern das man aktiv kreiert und kultiviert. Wow. Damit hätte man es ja doch ein kleines bißchen in der Hand, wie es einem selbst in seinem Leben geht. Denn so lange die Erde unter einem steht und man das Privileg hat sich Gedanken zu machen: Lasst uns was draus machen!
Die spannende Frage ist jetzt: wie? Komplett übersetzt bedeutet Santosha nicht nur Zufriedenheit, sondern auch Schlichtheit, Anspruchslosigkeit, Bescheidenheit. Eine (innere) Einfachheit, aus der heraus wir umso intensiver wahrnehmen können.
Zufriedenheit entsteht, wenn wir die Suche nach dem anderen, dem mehr, dem weniger - dem, was nicht da ist - gehen lassen.
Und, ehrlich: So ruhig man auch nach Außen wirken mag, im Inneren ist es doch oft sehr wild. Ein Pendeln zwischen Polaritäten, Extremen, Ängsten, Meinungen: Ich will, ich will nicht. Ich mag, ich mag nicht. Ich finde, ich meine, ich sollte… Doch wenn wir genau hinschauen: Das Leben selbst ist grundlegend neutral, jede Situation ist einfach nur da. Was wir daraus machen, wie wir uns der Situation entgegen stellen, das ist Sache unserer eigenen inneren Ausrichtung.
Wie geht jetzt Zufriedenheit? Eine Übung:
Wie wäre es für diesen Moment - während ich schreibe und du liest - im Jetzt anzukommen. Lass Vergangenes in der Vergangenheit, Kommendes in der Zukunft. Andere Menschen, wo sie sind, die Welt um dich und Dein Herz in dir. Für diesen Augenblick sei einfach nur da. Spür deinen Körper, atme.
Einfach so. At ease, zu-Frieden.
Der Schlüssel zu Santosha ist dieser Augenblick. Manchmal tut es gut, die Augen kurz zu schließen, für ein paar Atemzüge etwas länger aus- als einzuatmen und die Welt wieder neu wahrzunehmen, wenn man die Augen öffnet.
Und auch wenn es vielleicht nur ein paar Sekunden sind: Sie sind die entscheidende Korrektur. Ein kleiner Trick, durch den etwas Magisches passiert: All die Energie, die wir in unser Gedankenkarrusell schicken, steht uns auf einmal wieder zur Verfügung.
Für was? Für unser tatsächliches Leben. Unser Leben, das im Hier & Jetzt geschieht. Der Ort, an dem wir gestalten, kreieren und umsetzen können. In dem aus Problemen Lösungen werden und aus unseren Wünschen Schritt für Schritt Realität. Und an dem Zufriedenheit immer schon auf uns wartet, selbst wenn man sie zwischenzeitlich vielleicht mal verliert. Denn das macht Yogapraxis aus: Man kann immer wieder zurück kommen.
Ich wünsche Dir Zufriedenheit. Und den vollen, glänzenden Glamour des Moments.
Diesen Artikel hat Judith geschrieben. Sie ist Gründerin von Studio Atha, seit Anfang 2000 Yogalehrerin, Körpertherapeutin, Drehbuchautorin. Ihr Weg hat sie auch in verschiedene Kapitel in der Fashion- und Filmindustrie und quer durch die Welt geführt. Vielfältige Stationen, in denen sie sowohl die Anforderungen eines knallvollen Alltags, wie auch die immense Kraft von Yoga, Meditation und Ernährung kennengelernt hat. Judith lebt, was sie teilt und möchte dieses wichtige Wissen für möglichst viele Menschen anwendbar machen. Damit es dort ankommt, wo es hingehört: Mitten im Trubel des Lebens. Außerdem liebt sie ihr Rennrad, schöne Dinge, fremde Welten, laute Musik und Tage, die anders laufen, als geplant.
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